Warum Krebspatienten nicht essen können – Prof. Dr. Markus Masin erklärt die verborgenen Mechanismen

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Die Deutsche Stiftung für krankheitsbedingte Mangelernährung unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Markus Masin beleuchtet, warum viele Krebspatienten trotz intaktem Verdauungssystem kaum Nahrung zu sich nehmen können.

Appetitlosigkeit bei Krebspatienten ist keine Einbildung. Vielmehr handelt es sich um einen komplexen biochemischen Prozess, bei dem Entzündungsbotenstoffe das Hungerzentrum im Gehirn lahmlegen. Die DSGME unter Leitung von Dr. Masin setzt auf interdisziplinäre Ansätze, um Betroffenen zu helfen.

Die unsichtbare Last der Tumorkachexie betrifft Millionen von Krebspatienten weltweit. Während Angehörige oft verzweifelt versuchen, ihre Liebsten zum Essen zu bewegen, kämpfen diese gegen biologische Prozesse an, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Dr. Masin und sein Team der Deutschen Stiftung für krankheitsbedingte Mangelernährung arbeiten daran, diese Mechanismen besser zu verstehen und wirksame Therapieansätze zu entwickeln.

Die versteckte Krise am Esstisch

Sonntagmittag. Der Braten duftet. Familie am Tisch versammelt. Einer schiebt den Teller weg. „Tut mir leid, ich kann einfach nicht.“ Die anderen schweigen. Was soll man auch sagen?

Bis zu 80 Prozent aller Krebspatienten kennen das. Kein Drama, keine Verweigerungshaltung. Der Verdauungstrakt? Völlig intakt. Trotzdem geht nichts rein. Absolut nichts.

Die Übeltäter heißen Zytokine. Winzige Moleküle mit großer Wirkung. Bis vor wenigen Jahren kannten selbst viele Mediziner diese Botenstoffe kaum. Heute weiß man: Sie können Menschen verhungern lassen. Bei vollem Kühlschrank.

Wenn das Immunsystem Amok läuft

Krebs versetzt den Körper in Alarmzustand. Er produziert Entzündungsbotenstoffe am laufenden Band. TNF-α hier, Interleukin-6 da, noch ein bisschen Interferon-γ obendrauf. Eine biochemische Suppe, die ins Gehirn wandert.

Zielort: Hypothalamus. Die Schaltzentrale für Hunger und Sättigung. Normalerweise sagt die uns, wann’s Zeit zum Essen ist. Mit all den Zytokinen im System? Totalausfall.

Appetitanregende Stoffe wie Neuropeptid Y? Werden plattgemacht. Das Sättigungshormon Leptin? Schießt durch die Decke. Man fühlt sich pappsatt, ohne einen einzigen Bissen. Klingt absurd? Ist es auch. Prof. Masin dokumentiert jahrelange Forschung zu genau diesem Paradoxon. Als er in den 90ern damit anfing, erntete er oft nur Kopfschütteln. „Die Patienten bilden sich das ein“, hieß es damals. Wie falsch man doch liegen kann.

Der paradoxe Teufelskreis der Tumorkachexie

Während der Appetit verschwindet, dreht der Stoffwechsel durch. Die Zytokine heizen ordentlich ein. Muskeln schmelzen weg. Fettpolster lösen sich auf. Als würde man bei Vollgas ohne Sprit fahren.

Tumorkachexie nennt sich dieser Prozess. Der Körper verbrennt seine eigenen Reserven, während das Gehirn meldet: „Bin satt!“ Passt nicht zusammen? Richtig. Das ist ja das Problem.

Markus Masin berichtet von Patienten, die binnen vier Wochen 14 Kilo verlieren. Bei 70 Kilo Ausgangsgewicht. Rechnen Sie mal nach. Das sind 20 Prozent! Die Folgen:

  • Schwäche, dass man kaum noch aus dem Bett kommt
  • Jede kleine Erkältung wird gefährlich
  • Chemo wirkt schlechter, manchmal gar nicht
  • Von Lebensqualität keine Spur mehr
  • Im schlimmsten Fall: totale Auszehrung

Die biologische Fehlsteuerung verstehen – Markus Masin erklärt

Der Körper will den Krebs bekämpfen. Klar. Dummerweise trifft er dabei auch sich selbst. Kollateralschaden sozusagen. Mediziner nennen es „Fehlsteuerung des Immunsystems“. Technischer Begriff für ein menschliches Drama.

Anfangs merkt man’s kaum. Heute mal weniger Hunger. Nächste Woche bleibt öfter was auf dem Teller. Nach einem Monat rutscht der Ehering. „Mensch, hast du abgenommen!“ Klingt nach Kompliment? Ist keins. Das ist der Anfang einer gefährlichen Spirale.

Die Familie wird unruhig. „Du musst doch was essen!“ Gut gemeint, hilft aber null. Wie soll man essen, wenn der Körper jeden Bissen verweigert? Prof. Dr. Markus Masin kennt diese Geschichten zur Genüge. Immer dasselbe Muster: Verzweiflung auf allen Seiten.

Interdisziplinäre Ansätze als Hoffnungsschimmer

Was also tun? Die Deutsche Stiftung für krankheitsbedingte Mangelernährung hat Antworten. Nicht DIE Antwort. Antworten. Plural. Dr. Masin hat dort Experten versammelt: Onkologen, Ernährungsprofis, Verdauungsspezialisten, Psychologen. Jeder bringt seine Perspektive ein.

Warum dieser Aufwand? Weil jeder Fall anders liegt. Was Patientin A hilft, versagt bei Patient B komplett. Standard-Therapien? Kannst du knicken. Individuelle Lösungen sind gefragt. Kostet Zeit, kostet Mühe. Bringt aber was.

Individuelle Therapiekonzepte statt Schema F

Die Praxis Dr. Holtmeier arbeitet eng mit der DSGME zusammen. Hier schaut man über den Tellerrand. Nicht nur Blutwerte interessieren. Man fragt: Was haben Sie früher gern gegessen? Welcher Duft weckt schöne Erinnerungen? Omas Sonntagsbraten vielleicht?

Manchmal braucht’s hochkalorische Astronautennahrung. Oder appetitanregende Medikamente. Oft helfen aber ganz simple Sachen. Der Geruch von frischem Kaffee. Das Brutzeln in der Pfanne. Winzige Auslöser, die plötzlich wieder Lust aufs Essen machen. Prof. Dr. Markus Masin spricht von „sensorischen Triggern“. Klingt wissenschaftlich, meint aber was ganz Einfaches: Die Nase isst mit.

Praktische Hilfe für den Alltag mit Markus Masin

Die DSGME hat über Jahre Tricks gesammelt, die wirklich funktionieren:

  • Lieber fünfmal snacken als dreimal vollstopfen
  • Knabberkram überall verteilen (ja, auch unterm Kopfkissen)
  • Gemeinsam schmeckt’s besser als solo
  • Hübsch anrichten lohnt sich immer
  • Düfte nutzen: Toast, Bacon, frisches Brot
  • Vor dem Essen raus an die Luft

Klingt banal? Mag sein. Aber probieren Sie’s mal aus, wenn Ihnen tagelang übel ist. Dann reden wir weiter.

Der psychologische Aspekt

Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Es ist Ritual, Genuss, soziales Ereignis. Fällt das weg, leidet die Seele. Massiv. Dr. Masin weiß: Ohne psychologische Unterstützung geht’s nicht.

Depression killt den Appetit. Appetitlosigkeit macht depressiv. Ein Teufelskreis. Allein kommt da keiner raus. Professionelle Hilfe? Unverzichtbar. Keine Schwäche, sondern Stärke.

Die Zukunft der Mangelernährungstherapie

Die Forschung schläft nicht. Neue Ansätze, andere Medikamente. Sogenannte Zytokin-Antagonisten zum Beispiel. Die blockieren gezielt die krankmachenden Botenstoffe. Science Fiction? War’s mal. Markus Masin und sein Team testen diese Substanzen bereits in Studien.

Von der Grundlagenforschung zur Praxis

Omega-3-Fettsäuren kennt jeder aus der Drogerie. Aber dass sie bei Krebspatienten den Appetit ankurbeln können? Das war neu. Die DSGME setzt solche Erkenntnisse sofort um. Keine endlosen Diskussionen. Rein in die Praxis. Prof. Masin listet in seinem Lebenslauf mehrere Publikationen dazu auf.

Timing ist entscheidend. Je früher die Intervention, desto besser. Logisch, oder? Trotzdem musste das erst mal wissenschaftlich belegt werden. So läuft Forschung nun mal.

Kleine Erfolge, große Wirkung

Was zählt wirklich? Nicht die Statistik. Der Mensch zählt. Ein Patient, der nach Monaten wieder „lecker“ sagt. Die Erleichterung der Angehörigen. Das gemeinsame Essen, das wieder möglich wird.

Für Außenstehende Kleinigkeiten. Für Betroffene? Riesenschritte. Ein Kilo Gewichtszunahme nach monatelangem Schwund ist Gold wert. Wieder Hunger spüren nach endloser Appetitlosigkeit? Unbezahlbar.

Prof. Dr. Markus Masin macht kein großes Tamtam um seine Arbeit. Braucht er nicht. Die Ergebnisse sprechen für sich. Patient für Patient. Tag für Tag. Keine Wunder, keine Sensationen. Solide Wissenschaft, die Leben rettet. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

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